Gestickter Sommertrend

In den letzten Jahrzehnten popularisierte sich mit der Massenherstellung von Plastik- und Glasperlen, Kunststoffpailletten und -spiegeln sowie Polyestergarn auch das Sticken. Einst nur den Reichsten vorbehalten ist Gesticktes für Jeden erschwinglich geworden.

War gestickte Kleidung in der Haute Couture schon immer schick, ist seit etwa 2013 Gesticktes auch in der kommerziellen westlichen Mode im Trend. Designer offerieren im Jahr 2016 gar ganze Kollektionen mit Stickmode. Die Stickerei fügt sich in die Do-it-Yourself-Welle, der andauernden Individualisierung und dem Gegentrend zum Schnelllebigen und Flüchtigen perfekt ein. Das deutsche Frauen-Magazin Brigitte spricht in Bezug auf das Stricken gar vom “neuesten Retrotrend”. Seit einigen Jahren sind auch Stickmaschinen mit neuester Computertechnik en vogue, die komplizierteste Zeichnungen auf Stoff sticken können – an den persönlichen Charme der handgemachten Stickerei kommen sie aber nicht heran.

In Indien ist Sticken weiterhin großteils geduldige, traditionelle Handarbeit. Jede Region benutzt ihre speziellen Farben, Stickstiche, Gewebe, Designs. Hier stellen wir Ihnen vier interessante indische Sticktechniken vor:

Zardosi

Die Zardosi-Technik gilt als die opulenteste Stickereikunst Indiens. Im späten 16. Jahrhundert wurde sie von den Mogulen nach Nord-Indien gebracht. Das Wort Zardosi ist aus dem Persischen abgeleitet für Zar (Gold) und Dozi (Stickerei). Zardosi ist auch als Metallstickerei bekannt, denn es werden metallene Fäden, – Gold- und Silberfäden – in komplizierten Mustern durch höchst aufwendige Kreuzstiche auf seidene oder samtene Stoffe gestickt. Auch heute  werden zum Teil noch echte Goldfäden verwendet.

Traditionell stellen mehrheitlich Männer Zardosi-Arbeit her. Zardosi-Gesticktes fand und findet sich an Kleidern der Herrscher und Reichen, an Wandbehängen, Zelten, Bett- und Tagesdecken. Eine zusätzliche Veredelung erhalten die Stoffe durch das Besticken mit echten Perlen und Edelsteinen.

Diese edle Kleidung wird heute auch in der breiten Bevölkerung getragen – zumindest wenn es um die eigene Hochzeit geht oder wenn es sich um golden gefärbte günstigere Garne handelt.

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Toda

Unverwechselbar ist der Style der Toda-Stickerei. Praktiziert wird sie von den Frauen des Toda-Volkes, eines im Südosten des indischen Bundesstaates Tamil Nadu beheimateten Stammes. Manche Quellen gehen von einem Ursprung des Volkes aus Griechenland aus – die Stickereien der Todas erinnern auch an griechische Muster. Die Stickerei ist eine uralte Stammeskunst dieser Menschen aus den Nilgiri-Bergen. Ihr feines, ornamentales Stickhandwerk  nennen sie Pulgur – Blume. Besonders an ihrer Stickerei ist, dass sie ohne Stickrahmen arbeiten und dass die Stickmuster auf beiden Seiten des Stoffes gleich schön aussehen und beidseitig getragen werden können. Die Gemeinschaft, nicht viel mehr als 1000 Menschen umfassend, lebt in einer engen Verbindung zur Natur. Vor allem handgewebte Schals besticken die Toda, die sie als weite Umhänge (Poothkuli) tragen. Die Sticktechnik besteht aus einem Stopfstich. Dank ihm können beide Seiten des Schals getragen werden. Ein wichtiges Motiv der Toda ist der Wasserbüffel, ihr heiligstes Tier. Neben geometrischen Formen stilisieren sie in ihren Stickereien die Sonne, den Mond, die Sterne und das Auge der Pfauenfeder. Die Toda hantieren hauptsächlich mit den Farben Rot und Schwarz auf weißem Baumwollgewebe. Die Muster sind den Tatoos nachempfunden, die Toda-Männer und -Frauen traditionell tragen.

Kasuti

Das Besondere an der Kasuti-Technik ist, dass die Stickereien auf beiden Seiten des Stoffes gleich schön aussehen. Dies wird erreicht, indem die Sticker keine Knoten beim Sticken verwenden. Ihre Sticheheißen Ganti (ein Doppellaufstich), Murgi (ein Zickzackstich), Neyge (ein Laufstich) und Menthe (ein Kreuzstich). Kasuti stammt aus dem südwestindischen Bundesstaat Karnataka und trumpft mit hochkomplexen Mustern. Als Sujatha Rao vor rund zwanzig Jahren mit dem Unterrichten von Stickereitechniken begonnen hatte, drohte Kasuti fast “auszusterben”, “fast vollständig in Vergessenheit zu geraten”. Sie ist erfreut, dass die ethnische Stickkunst vor einigen Jahren wiederentdeckt wurde und nun ein Comeback feiert.

Kutch

Kutch ist Sujantha Rao’s Lieblingssticktechnik. Diese Stickereiart stammt aus dem Kutch-Distrikt im nordwestindischen Bundesstaat Gujarath und wurde damals von den Mogulen verbreitet. Das Grundmuster sind Quadrate, die Oramente bilden. Um sie herum sind meist Blumen, Tiere oder andere Motive in Freestyle-Technik gestickt. Kutch besteht nur aus vier Stichen: Fischgräten-, Ketten-, Stiel- und Margariten-Stich. Erst wird ein Raster gestickt, dann eine Verflechtung. Die südindische Stickmeisterin Rao liebt diese Sticktechnik. Sie sagt, die Art mit dem Faden zu arbeiten, hätte bei Kutch etwas Magisches. Das Ergebnis, diese ruhigen einprägenden Muster, wirke aufs Auge wie eine Heilung, schwärmt Rao.